Autor: Der Mann hinter dem Bericht
Olympische Spiele beziehen ihren besonderen Status alleine schon aus der Tatsache, dass sie nur alle vier Jahre stattfinden – sofern Pandemien à la Corona den Zeitplan nicht, wie in Tokio 2020/21, über den Haufen werfen. Anfang August 2024 war es nun soweit: die Olympischen Spiele fanden nach über 100 Jahren erneut in der französischen Hauptstadt Paris statt. Lange wurde gerätselt, ob die Stadt tatsächlich im Wesentlichen auf Neubauten verzichten würde – und die Austragung der Freiwasser-Schwimmwettbewerbe und der Triathlons in der gesäuberten Seine standen täglich auf der Kippe. Doch was Paris schließlich bot, übertraf viele Erwartungen. Hier wurden die Olympischen Spiele tatsächlich in der Stadt durchgeführt. Während man, gerade in Europa, sonst den Zentralismus Frankreichs gerne einmal belächelt, profitierten die Olympischen Spiele in Paris hiervon. Zum einen ist Paris reich an für olympische Wettkämpfe geeigneten Einrichtungen. Die Innenstadt wurde quasi komplett für den oberirdischen Individualverkehr gesperrt – wer mit dem PKW durch Paris wollte, benötigte eine Sondergenehmigung und kam dennoch nicht überall hin. Aber Paris wäre nicht Paris ohne die Metro – sie bildete das Rückgrat des Innenstadtverkehrs. Zudem waren die zahlreichen Außenbezirke durch erhöhte Frequenzen vor allem der Nahverkehrszüge bestens angeboten. In den Zügen erfolgten Durchsagen nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Englisch und Spanisch. Und dort, wo die Wettkampfstätten nicht direkt per bestehendem Nahverkehr erreichbar wurden, kamen Shuttlebusses zum Einsatz, die stets von einem Polizeimotorrad eskortiert wurden. Ergänzt wurde das Konzept durch sehr kompetente, freundliche und hilfsbereite Volunteers, die mit ihrer bunten Kleidung das Bild der Stadt und Außenbezirke prägten.
Wer den Weg nach Paris fand, stellte schnell fest: hier war die ganze Stadt „Olympia“. Das zeigte sich bereits bei der Eröffnungsfeier, die erstmals nicht in einem Stadium, sondern in der gesamten Stadt – verbunden durch die Seine, auf der die Athleten per Boot unterwegs waren – stattfand. Und als zum Finale Celine Dion trotz schwerer Krankheit und in strömendem Regen vom Eiffelturm die inoffizielle französische Nationalhymne „L’hymne à l’amour“, also die Hymne an die Liebe, von Edit Piaf in die Nacht hinaus sang (kleiner Tipp: eine wunderbare Version dieses Songs gibt es vom blinden französischen Musikstar Gilbert Montagné auf Youtube unter https://bit.ly/3SSeof9), war klar: Rund um den Eiffelturm würde vieles anders sein als bei bisherigen Spielen. So wurden rund um den Eiffelturm beispielsweise die Beachvolleyball-Wettkämpfe ausgetragen, und Langstrecken-Wettbewerbe wie Marathon und Gehen wurden in der Innenstadt ausgetragen und man konnte zuschauen, ohne dafür Karten erwerben zu müssen. Zwischen Place de la Concorde und Champs Elysée samt Arc de Triomphe hatte der Megastore mit seinen Merchandising-Produkten (interessanterweise gibt es bei Olympia kein Merchandising pro Sportart, nur ein Gesamt-Merchandising) ebenso eine Heimat gefunden wie ein Besucherdorf mit Ständen der Hauptsponsoren. Eine Besonderheit auf das Olympische Feuer: es wurde in den Tuillerien, den Gärten vor dem Louvre, installiert. Da sich Paris Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hatte, verzichtete man auf ein traditionelles Feuer mit fossilen Brennstoffen, sondern baute als übergroße Fackel einen an die Gebrüder Montgolfiere erinnernden Ballon, der statt eines Korb ein mit LED-Lampen und Wasserdampf betriebenes „Feuer“ beheimatete. Tagsüber blieb der Ballon am Boden, nachts stieg er auf und leuchtete über der Stadt und den Gärten. Beeindruckend auch das Zusammentreffen unzähliger Nationen in der Pariser Innenstadt – ein geradezu babylonisches Sprachengewirr, Fahnen aus aller Welt und dennoch ein friedliches und fröhliches Miteinander prägten die Atmosphäre in der Stadt. Einige historische Gebäude wie das Grand Palais wurden zur Sportstätte umgewidmet, die Reiterwettbewerbe fanden in den berühmten Gärten des Schlosses von Versailles vor den Toren Paris statt.
Auch die Golfwettbewerbe der Damen und Herren fanden auf etabliertem Gelände statt. Austragungsort war der Albatros Course von Le Golf National, auf dem bereits 2018 Team Europa im Ryder Cup siegreich war. Zunächst gingen die Herren an den Start – bei teilweise wechselhaftem Wetter und somit etwas weicheren Grüns, was die Profis für ihre extrem genauen Annäherungen reichlich nutzen. Der Platz, der von Robert van Hagge als Stadium Course ausgelegt ist, bot erneut eine großartige Kulisse. Ein Vorteil: von vielen Standorten auf der Anlage hat man nicht nur eine, sondern gleich mehrere Bahnen im Blick. Große Anzeigetafeln, eine sehr gut funktionierende App und ein Liveradio informierten die Besucher stets über den Stand der Ergebnisse. Obwohl Le Golf National seit vielen Jahrzehnten große Profi- und Amateure der Herren beheimatet hat – nicht zuletzt die Open de France, die älteste Open in Kontinentaleuropa – war sie vor Olympia noch nie Austragungsort eines bedeutenden Damenturniers. Daher wurden, um die Anlage besser spielbar zu machen, extra zwei zusätzliche Abschläge gebaut, zudem spielten die Damen deutlich weiter von vorne. Kleines Detail: die Geschwindigkeit der Grüns war sowohl bei den Herren als auch den Damen mit 11,6-12 nochmals höher als beim Ryder Cup 2018, als man 10,6-11 maß. Auf der gesamten Anlage gab es nur eine Tribüne oberhalb des 18. Grüns, die jedoch über weite Strecken leer blieb. Neben der perfekten Sicht auf das Spielgeschehen von vielen Plätzen direkt neben den Spielbahnen trug dazu auch bei, dass die meisten Zuschauer mit ihren Lieblingsgolfern mitliefen. Im Vorfeld sorgte in der Golfwelt noch das bis heute unverständliche Verhalten des niederländischen Olympischen Komitees für Kopfschütteln, die von den dem Land zustehenden vier Startplätzen (je zwei bei Herren und Damen) nur einen nutzten, worunter insbesondere der erfolgreichste niederländische Golfer Joost Luiten litt. Als er seine Teilnahme schließlich vor Gericht erstritten hatte, machte ihm das OIympische Komitee einen Strich durch die Rechnung, da es seinen Startplatz inzwischen weitervergeben hatte und man darauf bestand, die Teilnehmerzahl von 60 beizubehalten. Sehr schade, denn Joost hat die Qualifikationskriterien nicht nur erfüllt, sondern hätte angesichts seiner bisherigen Erfolge sicherlich auch in Paris eine Medaillenchance gehabt. Auffällig war, dass beim Olympischen Golfturnier – anders als beim Ryder Cup – nicht nur Golfenthusiasten vor Ort waren, sondern auch Menschen, die noch nie bei einem Golfturnier waren und den Sport auch nicht selbst ausüben. Hintergrund ist die Vertriebsstrategie bei Olympia, wo man bewusst viele Tickets nur über Pakete verkauft, da man das Event bewusst dazu nutzen möchte, die Besucher an weitere Sportarten heranzuführen. Das tat der Stimmung keinen Abbruch, immer wieder war zu beobachten, dass Nicht-Golfer sich bei den Golf-kundigen Zuschauern erkundigten und bestimmte Situationen erklären ließen. Da die Profis bei Olympia für ihr Land antraten, sah man sie auch in ungewohnten Outfits, am bekanntesten dürfte noch das Design bei Team USA gewesen sein, dass sich wie eine Variante zahlreicher Ryder Cup-Outfits anfühlte. Am meisten Begeisterung löste verständlicherweise der Auftritt der Lokalmatadoren Matthieu Pavon und Victor Perez aus. Während Pavon jedoch unter dem Erwartungsdruck litt und letztlich den letzten Platz belegte, blühte sein Landsmann Perez geradezu auf und verpasste auf Platz 4 eine Medaille am letzten Tag trotz großem Kampf nur ganz knapp.
Das Turnier selbst war mit Sicherheit ein, wenn nicht gar das Highlight der Turniersaison 2024. Dafür sorgte alleine schon die Tatsache, dass hier endlich wieder einmal das Gros der besten Golfer der Welt antrat. Zwar fehlten Spieler wie Bryson de Chambeau, Brooks Koepka oder Sergio Garcia, dennoch gehörte das Spielerfeld mit Sicherheit zum hochkarätigsten der Turniersaison 2024. Und die Begrenzung auf 60 Spieler sorgte dafür, dass die Turniertage sich zudem nicht überlang hinzogen, auch einen Cut gab es nicht. Mit einer furiosen Aufholjagd holte sich Scottie „wer sonst in 2024“ Scheffler mit geteiltem Platzrekord in der Schlussrunde noch die Goldmedaille. Bewundernswert dabei, dass er zu keinem Zeitpunkt verbissen der Medaille nachjagte, sondern selbst in der Schlussphase seine Mitspieler sogar noch anfeuerte und gute Schläge von ihnen bewunderte – so sieht der echte „Spirit of the Game“ aus! Zweiter wurde der Engländer Tommy Fleetwood, der auch ohne seinen kongenialen Counterpart aus 2018, Francesco Molinari, im Le Golf National einen der größten Triumphe seiner Karriere feierte. Platz drei ging an den nach dem ersten Tag führenden Japaner Hideki Matsuyama. Der Spielermix bei Olympia führte vor allem Golf-begeisterten Zuschauern jedoch auch schmerzlich vor Augen, wie zersplittert die Golfwelt inzwischen ist. Bei Olympia traten Spieler der US PGA Tour, von LIV Golf, der DP World Tour, der Asian Tour und der Challenge Tour miteinander an. Umso wichtiger wäre es, gerade für die Zuschauer, dass die Teilnahme zumindest an Majors nicht direkt oder indirekt von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tour abhängig wäre. Gleiches gilt übrigens für die Kriterien des Ryder Cups, wobei hier die Ankündigungen für 2025 vor allem Team Europa zum Nachteil gereichen könnten. Dass Spieler auch ohne LIV Golf schon längst nicht mehr primär auf der Tour ihrer Heimat-Kontinents spielen, zeigt auch ein Blick auf die Ergebnisliste bei Olympia: unter den Top 30-Platzierten 12 Europäer, von denen jedoch nur ein Einziger (Matteo Manassero) fest auf der DP World Tour spielt. Der Rest: entweder LIV oder PGA Tour. Auch die Kanadier, Südafrikaner, Australier und Asiaten unter den Top 30 spielen längst primär auf der PGA Tour. Auch von anderen Golfern als den Medaillengewinnern wurde fantastisches Golf gespielt – N. Hojgaard stellte am Samstag den Platzrekord ebenfalls ein, viele andere Golfer zeigten tolle Leistungen. Die Olympischen Spiele bringen auch einige interessante Nebengeschichten hervor: Tom Kim aus Südkorea hat es nicht geschafft, eine Medaille zu gewinnen – er wird in vier Jahren in Los Angeles eine weitere Chance haben, ansonsten muss er aufgrund des Gesetzes seines Landes 21 Monate im Militär.
Da olympische Spiele außergewöhnlich sind, haben wir alle 60 teilnehmenden Spieler einmal im Bild festgehalten:
Keine Frage: ein Olympisches Golfturnier ist außergewöhnlich – zumal, wenn es auf einem so interessanten und top-gepflegten Platz (ein besonderes Lob hier nochmals an Alejandro Reyes von Turfgrass Agronomy & Services – 2018 war er noch Superintendent der Anlage – und sein Team aus lokalen Greenkeepern und Greenkeeping Volunteers, die den Platz trotz teils herausfordernden Wetters perfekt präpariert hatten) wie Le Golf National stattfindet. Olympia ist eine Mischung aus Ryder Cup und Einzel-Wettkampf, denn obwohl jeder Golfer für sich selbst spielt, vertritt er auch sein Land. Von daher: wer Interesse an einem besonderen Golferlebnis hat, sollte schon heute den Termin für Olympia 2028 in Los Angeles im Kalender rot markieren.
Apropos Los Angeles: dann wird es neben den Einzel-Wettspielen der Herren und Damen auch einen Mixed-Wettbewerb geben. Wie das genaue Spielformat aussehen wird, wurde noch nicht veröffentlicht, aber Golf ist spätestens seit Paris endgültig wieder bei Olympia angekommen – was man auch daran erkennt, dass einstige Olympia-Gegner wie Rory McIlroy nicht nur teilnahmen, sondern alles für eine Medaille gaben und sich vom Event überzeugt präsentierten.
Ein Wort zum Schluss noch zum Olympischen Turnier der Damen, bei dem auch wir leider nicht mehr vor Ort sein konnten: auf einem technisch sehr schwierigen Platz zeigten die Damen Weltklasse-Golf und standen in der Qualität ihres Spiels den Herren kaum nach. Ein Indiz: bei den Herren lag der Siegerscore bei -19, der letzte Platz kam auf +13. Bei den Damen lag Siegerin Lydia Ko bei -10, während der höchste Score +23 betrug. Bedeutet: zwar hatten die Herren insgesamt einen niedrigeren Score, der Abstand zwischen erstem und letztem Platz variierte jedoch um gerade einmal einen Schlag!
Besonders erfreulich aus deutscher Sicht war bei den Damen natürlich die Silbermedaille von Esther Henseleit, die mit einer faszinierenden Aufholjagd zwischenzeitlich sogar noch Chancen auf Golf hatte. Damit konnte sich Team Deutschland erstmals eine Medaille bei den Olympischen Golfwettbewerben sichern! Wer Esther nun einmal live erleben möchte, muss jedoch über den großen Teich reisen. Die Proette spielt längst erfolgreich auf der LPGA-Tour und liegt aktuell im Rolex-Ranking auf Platz 42, in der laufenden Saisonwertung belegte sie nach Olympia Platz 53. Auch bei den Damen zieht es die Besten eben meistens Richtung USA.