Die Grotte von Niaux

Bild von Michael Althoff

Michael Althoff

Autor: Der Mann hinter dem Bericht

Kunst und Mystik aus der vergangener Zeit

Hoch über der Vicdessos-Schlucht, in der französischen Region Okzitanien, liegt eine der eindrucksvollsten prähistorischen Stätten Europas: die Grotte von Niaux. Die imposante Höhle öffnet sich in 668 Metern Höhe mit einem gewaltigen Portal – 50 Meter breit und 55 Meter hoch – und gibt Zugang zu einem unterirdischen Labyrinth, das nicht nur durch seine Ausmaße beeindruckt, sondern vor allem durch seine jahrtausendealten Höhlenmalereien. Diese stammen aus der Zeit des Magdaléniens vor rund 13.000 Jahren und gehören zu den wenigen in Europa, die noch im Original öffentlich zugänglich sind. Bereits im 17. Jahrhundert erwähnt, wurde die Grotte wissenschaftlich ab dem 19. Jahrhundert erforscht. Der Durchbruch kam in den 1940er-Jahren mit der Entdeckung des sogenannten „Salon Noir“, einem etwa 800 Meter vom Eingang entfernten Saal, in dem sich der Großteil der Höhlenkunst konzentriert. Hier finden sich über 100 meisterhaft ausgeführte Tierdarstellungen – vor allem Bisons, Pferde und Steinböcke –, die mit schwarzem Mangandioxid oder Holzkohle gezeichnet wurden. Einige Figuren sind von roten Pigmenten begleitet, andere wurden durch Ritzungen in den Fels ergänzt. Besonders auffällig ist die künstlerische Qualität: Proportionen, Bewegungsdynamik und räumliche Anordnung lassen auf eine hohe technische und ästhetische Kompetenz der damaligen Künstler schließen.

Die Darstellungen liegen tief im Inneren der Höhle, weit entfernt von potenziellen Wohn- oder Nutzbereichen. Das hat Archäologen und Anthropologen zu der Annahme geführt, dass sie rituellen oder spirituellen Zwecken dienten. Der französische Prähistoriker Jean Clottes sieht in ihnen eher eine Form der Kommunikation mit der geistigen Welt, denn eine bloße Jagdmagie. Die Höhle war vermutlich ein Ort, an dem sich Schamanen oder Stammesangehörige in Trance oder Zeremonien mit der Tierwelt verbanden – einer Welt, von der das Überleben ihrer Gemeinschaft abhing. Ein Besuch der Grotte ist ein Erlebnis für sich: Nur in kleinen Gruppen, mit strengen Zugangsbeschränkungen und unter Führung geschulter Guides darf man die Höhle betreten. Elektrisches Licht gibt es nicht – lediglich Taschenlampen sorgen für eine behutsame Beleuchtung, um die empfindliche Atmosphäre nicht zu stören. Die Temperatur liegt konstant bei etwa 12 Grad Celsius, und der Weg führt über schmale, teils feuchte Pfade durch den Fels. 

Am Eingang der Höhle befindet sich ein Besucherzentrum mit Ausstellungen zur Höhlenforschung, zur Geschichte der Entdeckung und zur prähistorischen Kunst. Ergänzt wird das Angebot durch das Musée pyrénéen de Niaux, das regionale Funde sowie ethnografische Objekte zeigt. Auch architektonisch ist das Gelände bemerkenswert: Der italienische Architekt Massimiliano Fuksas hat das Areal mit einer modernen Besucherstruktur ausgestattet, die sich dennoch sensibel in die Landschaft einfügt.

Wer den Weg ins Innere scheut, aber die Höhenmalereien dennoch sehen möchte: im nahegelegenen Parc de la Préhistoire gibt es eine Nachbildung dieses Kulturerbes.